Wie begeht man eine Gedenkstätte, wie das Konzentrationslager Buchen-wald, in der Absicht sie gleichzeitig fotografisch zu interpretieren oder zumindest sich fotografisch auf das Thema einzulassen. Respekt, Voyeu-rismus, Pietät, würdige Erinnerung... Und wie kann man das am besten in Bildern transportieren? Da gehen einem sehr viele und widersprüchliche Gedanken durch den Kopf. Man fragt sich auch, wird man das, was einem da begegnet, alles einigermaßen aushalten können? Man hat sich eingelesen, in die Geschichte dieses Lagers, die Zahl der Toten, die Grausamkeiten der SS, der Wachmannschaften, und somit bereits Bilder im Kopf geschaffen, finstere Bilder.
Erinnerungskultur wird ja neuerdings gerne wieder infrage gestellt oder gar als „dämliche Bewältigungspolitik“ bezeichnet, das macht fassungslos! Wer einmal an einem Ort wie Buchenwald die, Umgebung, die Relikte aus dieser Zeit, die Fakten und die Bilder auf sich wirken lässt, Stacheldraht, Elektro-zaun, Genickschussanlage und Krematorium, Seziertisch und Folterpfahl, der fängt an darüber nachzudenken, wie unendlich glücklich man sein darf, diesen Ort wieder jederzeit verlassen zu dürfen, einfach ungehindert durch das Tor der Kommandantur vor das Lager treten zu können, als freie Entscheidung eines Bürgers einer liberalen und menschenachtenden Staats- und Rechtsform und es bleibt nichts, aber auch gar nichts aus einer schrecklichen Zeit, das man sich zurückwünschen könnte und vor allem braucht man nichts weniger als eine erinnerungspolitische Wende um 180°. Behaupte bitte niemand diese heute gelebte Freiheit des Denkens und Handelns sei so selbstverständlich! Nein, sie muss ständig neu verdient werden!
Wer so ungehindert ein Konzentrationslager wieder verlassen darf, weil er das Glück hatte Jahre oder Jahrzehnte später geboren zu werden, es zufälligen Umständen verdankt, nicht Opfer oder aber Teil einer Schreckens-herrschaft geworden zu sein, der macht sich hoffentlich auch gleichzeitig darüber Gedanken, welchen glücklichen und vor allem schwer verdienten und teuer bezahlten Umständen es zu verdanken ist, in einer Zeit und unter Rechtsverhältnissen zu leben, in der das hier vorgefundene Grauen, zumindest in unserer Region, nicht mehr vorstellbar ist. Und er fängt vielleicht gleichermaßen an darüber nachzudenken, dass man sich, seinen Kindern und seinen Kindeskindern zutiefst wünscht, dass diese Dinge für immer Geschichte bleiben mögen. Allein, mir fehlt nicht selten der Glaube… Ganz bestimmt hat er aber das Gefühl, dass Erinnerung unendlich wichtig, unverzichtbar ist. Ganz bestimmt wird er zur Einsicht kommen, dass unser kollektives Gedächtnis diese Erinnerungen und Erfahrungen weitertragen muss, als Mahnung, um erneutes Unheil zu verhindern.
Im Tor der Kommandantur der bekannte Spruch „Jedem das Seine“, eine Verspottung der gepeinigten Gefangenen und gleichzeitig ein Missbrauch des Gedankens aus der griechischen Philosophie.
Hinter dem Durchgangstor ist man bereits umgeben von stacheldrahtbewehrten Zäunen, die zahlreichen Isolatoren erinnern daran, dass sie einstmals unter Strom standen und somit jedes Entkommen erfolgreich verhinderten. Zumal die Schergen eines unbarmherzigen Regimes aus 23 Wachtürmen jederzeit bereit waren auch nur den Versuch eines Ausbruchs mit Waffengewalt zu verhindern.
Wir, mein Fotofreund Egidius und ich, wir wollen nicht jedes Detail des Lagers aufsuchen, sondern es geht darum Eindrücke zu gewinnen, ein Gefühl für diesen Ort zu entwickeln, zu verstehen was man doch eigentlich gar nicht verstehen kann, es in einer angemessenen Weise in Bilder zu fassen, auch nach langer Zeit.
Stacheldrahtzaun, Wachtürme, Krematorium, in dieser Reihenfolge nähern wir uns einer Schreckenswelt, die reichlich schon beschrieben wurde. Sezierraum, ärztliche Bestecke für unmenschlichen Gebrauch, es sind Impressionen für die man um Begriffe und Einordnung ringt und ganz sicher ist es ein Unterschied, ob man darüber liest oder es mit eigenen Augen schaut, greifbar nahe.
Im Krematorium noch immer der Geruch von kaltem Ruß, die Ofenklappen weit geöffnet, ein Höllenschlund schmiegt sich dem nächsten an. Nicht nur das winterliche Wetter lässt einem die Glieder vor Kälte erschaudern. Sechs weit aufgerissene Ofenlöcher für die industrialisierte „Entsorgung“ menschlicher Leiber, bis zum Ende gequält, gemartert und ausgezehrt, schlussendlich ermordet. Unglückliche, die man zuletzt auch noch jeder Würde beraubte, ein apokalyptisches Bild technokratischer und seelenloser Perfektion. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ schreibt Paul Celan. Für die damalige Zeit und ganz speziell hier, traf das gewiss zu.
Nebenan eine Kammer, angefüllt mit unzähligen Urnen aus rostigem Blech, eine perfekt organisierte und lückenlose Entsorgungs-kette. Ein wenig weiter die perfide Messlatte, hinter der sich eine Genickschussanlage verbarg, 7.000 russische Gefangene fanden hier einen heimtückischen Tod, Niedertracht und Unmenschlichkeit waren lange schon hoffähig geworden. Medizinische Utensilien vor einer Wand, hinter Glas, natürlich, es gab medizinische Versuche an den Gefangenen, erneutes Schaudern macht sich breit, ratlose Fassungslosigkeit.
Auf einer übergroßen Holzwanne, die einstmals zum Abtransport der Leichen diente, eine welkende Rose, ein Fundstück zurückgewonnener Menschlichkeit, in einer besseren, und glücklicheren Zeit. Es wirkt sehr anrührend, doch auch ein wenig hilflos zugleich.
Wir treten wieder vor das Krematorium, das für so viele der letzte Ort ihres irdischen Daseins geworden war, wo man die letzten Spuren von ihnen ausgelöscht hatte, auf immer. Man steht vor diesem Gebäude, gedankenverloren. Vor uns eine weite Schneefläche, hier standen die Baracken der Häftlinge. Heute sind sie verschwunden, bis auf eine einzige, ganz am Ende der Anlage. Neben uns steht ein Wagen, beladen mit Steinen, daneben als Mahnmal ein Holzpfahl. An Holzpfählen wur-den Gefangene aufgebunden, als Strafe, zur Ab-schreckung, Folter war an der Tagesordnung.
Wir umrunden das weitläufige und geräumte Barackengelände, der Schnee und die winterlichen Temperaturen, der weitgehend bedeckte Himmel, sind mehr als stimmig in dieser Umgebung. Betonpfeiler, Gedenktafeln, dann - nahe der Mitte dieser riesigen Fläche, dicht bei dicht gedrängte Stelen aus Basalt, sie stehen symbolisch für die Konzentrationslager der Naziherrschaft, tragen eingemeißelt deren Namen: „Bergenbelsen“, „Treblinka“, „Dachau“ - und der schrecklichste von allen: „Auschwitz-Birkenau“. Auf den dunklen Basaltstelen leuchten aufgeschichtete Besuchersteine herüber, sie sind mir von meinen zahllosen Exkursionen und Fotoarbeiten auf jüdischen Friedhöfen wohlvertraut. Es sind ungewöhnlich viele und jeder aufgelegte Stein überbringt die Botschaft von seinem Besucher „Ich war hier, ich habe mich erinnert“.
Der Weg führt vorbei an den alten Betonpfosten des Lagerzauns, vielfach noch umwunden von rostigem Stacheldraht. Die Jahrzehnte haben Patina auf das Grau gelegt, vorwiegend Gelb- und Rottöne, die Kälte ist geblieben.
Wir verlassen das Lager langsam, fotografieren noch einmal die Kälte dieser furchtbaren Zeit, den Zaun, die Isolatoren, die Unterkunft der Wachmannschaft, die jetzt kahlen Flächen, wo vormals die Baracken standen, die kargen Lampen an Zäunen, durch die es kein Entrinnen gab. Unsere Gedanken haben wir mitgenommen.
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Es fällt mir hier relativ schwer ein geeignetes Stilmittel festzulegen, mit dem ich ein Konzentrationslager angemessen interpretieren könnte. Naturgemäß neigt man zu Schwarzweiß, grobkörnig, finster. Ein Teil der Aufnahmen ist mit den gedeckten Farben für mich allerdings gleichermaßen geeignet die Stimmung und den geschichtlichen Aspekt zu transportieren. Eine gewisse Patina hat sich auf viele Relikte gelegt, die man dann wiederum nicht in Schwarzweiß angemessen wiedergeben kann. In einigen Fällen kommen beide Stilmittel für mich vergleichbar gut infrage, so habe ich mich entschieden einen Bilderblock in Schwarzweiß und einen in Farbe auf die Seite zu stellen, das eine oder andere Motiv kommt dabei in beiden Varianten vor.